Wo die Politik in ihrer Aufgabe versagt, gesetzliche Vorgaben zu beschließen oder umzusetzen, sind juristische Klagen wichtig und häufig der einzige Weg, um Verbesserungen im Sinne der Umwelt und des Gemeinwohls zu erreichen. Die Aurelia Stiftung streitet als „Anwältin der Bienen“ dafür, dass insbesondere bei den Zulassungsrichtlinien für Pestizide und Gentechnik geltende Schutzansprüche von Bienen berücksichtigt werden und auf ein Gleichgewicht zwischen wirtschaftlichen Interessen und ökologischer Verantwortung geachtet wird.
Gerichtsverfahren legen Defizite offen
Am 17.05.2018 hat das Europäische Gericht (EuG) in Luxemburg beim Urteil zum Teilverbot bestimmter bienenschädlicher Neonicotinoide erhebliche Defizite der Risikoprüfung bei Pestizidwirkstoffen festgestellt (Rechtssachen T429/13 u. T451/13). Für die Wirkstoffe, die Gegenstand des Verfahrens waren, haben die Mitgliedsstaaten am 27.04.2018 ein generelles Verbot des Einsatzes im Freiland erlassen.
Erst zahlreiche von den Herstellerfirmen unabhängige wissenschaftliche Untersuchungen und Berichte über Schäden bei Bienen und anderen Nichtzielorganismen haben viele Jahre nach der Zulassung der Wirkstoffe zu deren Einschränkung geführt. Das war der Fall, obwohl die jetzt verbotenen Wirkstoffe das Zulassungsverfahren für Pestizide erfolgreich durchlaufen hatten.
Als Ersatz für die verbotenen Mittel kommen nun neue, ebenfalls systemische Insektizide zum Einsatz, die nach denselben, offenkundig unzureichenden Sicherheitsprüfungen zugelassen werden. Zum Teil handelt es sich dabei um Stoffe mit den gleichen Wirkungsmechanismen wie die Nervengifte, deren Anwendung im Freiland jüngst verboten wurde. Sie stören die Signalübertragung der Nervenzellen, was zum Absterben der betroffenen Nervenzellen, zu Krämpfen und schließlich zum Tod der Insekten führen kann.
Zahlreiche subletale immun und neurotoxische Effekte und Verhaltensstörungen bei Insekten sind wissenschaftlich dokumentiert. So wirkt zum Beispiel Glyphosat laut einer aktuellen Studie durch eine erhebliche Beeinträchtigung des Darmmikrobioms ebenfalls schädlich auf die Bienengesundheit. Auch diese Gefährdung wurde bei der kürzlich erfolgten Erneuerung der Zulassung für Glyphosat nicht berücksichtigt.
Vorsorgeprinzip wird missachtet
Es muss unbedingt verhindert werden, dass für Bienen derart gesundheitsgefährdende Pestizide ohne ausreichende Prüfung in den Verkehr gebracht werden. Dass sie den bekannten Risiken zum Trotz weiterhin zugelassen sind und auf den meisten deutschen und europäischen Agrarflächen eingesetzt werden, stellt eine sträfliche Unterlassung gegenüber unseren Lebensgrundlagen dar und widerspricht dem in der EU geltenden Grundsatz des Vorsorgeprinzips:
„Das Vorsorgeprinzip sollte angewandt und mit dieser Verordnung sollte sichergestellt werden, dass die Industrie den Nachweis erbringt, dass Stoffe oder Produkte, die erzeugt oder in Verkehr gebracht werden, keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch oder Tier oder keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt haben.“ – EG-Verordnung Nr. 1107/2009, Abs. 8.
Gegengewicht zur Industrielobby herstellen
Die aktuelle Zulassungspraxis für Pestizide ist bisher überwiegend von der Kooperation zwischen Herstellern und den Behörden geprägt. Verantwortliche Behörden wie die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) verlassen sich bei ihren Prüfungen und Beurteilungen fast ausschließlich auf Daten aus Studien, die die Herstellerfirmen in Auftrag geben und finanzieren. Die von der Aurelia Stiftung unterstützten Klagen vor deutschen und europäischen Gerichten bringen das Missverhältnis zwischen dem Einfluss der Industrie und den Schutzbedürfnissen von Bienen und Umwelt juristisch auf den Punkt.
Im Zweifel für den Umweltschutz
Das Europäische Gericht hat in seinem Urteil von Mai 2018 die Rechtsauffassung der Aurelia Stiftung ausdrücklich bestätigt, dass der Bienen- und Umweltschutz im Zweifel Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen hat. Das Urteil ist insofern ein wichtiger Meilenstein für den Bienen- und Insektenschutz. Aurelia und ihre Bündnispartner haben entscheidend an dem Gerichtsverfahren mitgewirkt. Als Anwältin der Bienen werden wir weiter darauf hinwirken, dass Politik und Behörden in die Verantwortung genommen werden und endlich konsequente Maßstäbe für einen effektiven Schutz der Bienen und Artenvielfalt auf europäischen Äckern setzen.