Unsere Projekte – abgeschlossen

Pestizide in Gärten

Die Aurelia Stiftung setzt sich für ein Verbot von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln in privaten Gärten ein. Im Rahmen des 2018 gestarteten Projekts hat die Stiftung eigene Nachforschungen zum Pestizidhandel und -absatz in Deutschland und Europa angestellt. Dabei haben wir auch eng mit Journalist*innen zusammengearbeitet und sie bei ihren investigativen Recherchen fachlich begleitet. Daraus sind mehrere Fernseh- und Printreportagen in überregionalen Medien entstanden. Auf Grundlage unserer Rechercheergebnisse haben wir uns mit einem detaillierten Forderungspapier an die zuständigen Behörden gewandt.

Ziel: 30.000 €erreicht
Projektträger: Aurelia Stiftung
Zeitraum: abgeschlossen
Ein typischer Pestizideinsatz im Privatgarten.

In Deutschland gibt es grob geschätzt 20 Millionen Hausgärten und etwa eine Million Schrebergärten (Kleingärten) – auf einer geschätzten Fläche von 930 000 Hektar. Das entspricht einem Gebiet, dass zehnmal so groß ist wie Berlin.

In der Freizeit zu gärtnern liegt voll im Trend und erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Besonders im Hausgarten- aber auch im Kleingartenbereich hat in Deutschland eine Verschiebung von einem reinen Nutzgarten hin zu einem Zier-, Erholungsgarten stattgefunden. Obwohl Gärten damit oft als ökologische Inseln und Hotspots der Vielfalt gelten, werden dort besonders häufig Pflanzenschutzmittel angewendet. Laut einer Umfrage, die vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) beauftragt wurde, greifen rund die Hälfte aller deutschen Haus- und Kleingärtner*innen regelmäßig auf chemisch-synthetische Schädlingsbekämpfungsmittel zurück.

Fragwürdige Labels sollen den Kund*innen suggerieren, dass Pestizidprodukte für den Garten unproblematisch für Bienen seien.

So kommt es, dass etwa fünf bis sechs Prozent der Menge an verkauften Pflanzenschutzmitteln in Deutschland für Haus- und Kleingärten bestimmt (2017: 6.220 Tonnen) sind. Damit werden theoretisch pro Hektar Garten etwa 6,7 Kilogramm Pflanzenschutzmittel an Hobbygärtner*innen verkauft. Für landwirtschaftliche Flächen werden dagegen „nur“ 5,2 Kilogramm Pflanzenschutzmittel pro Hektar von Profianwendern mit Sachkundenachweis gekauft.

Zwar möchten viele Hobbygärtner*innen gerne ökologisch arbeiten und auf den Einsatz von Chemie verzichten, es fehlen aber oft entsprechenden Kenntnisse dafür. Viele Freizeitgärtner*innen können Pflanzenschädlinge nicht voneinander unterscheiden und setzen die chemischen Gifte damit letztendlich auf gut Glück ein. Pestizidhersteller werben zudem gern mit fragwürdigen Siegeln auf ihren Produkten und suggerieren den Käufer*innen damit, die Schädlingsmittel für den Garten seien ungefährlich für Bienen. Das entspricht häufig nicht der Wahrheit und sorgt für zusätzliche Verunsicherung bei den Gärtner*innen.

Projektstart und Umsetzung

Den Anstoß für das Projekt gaben die Recherchen von Jan Hellberg, der zu diesem Zeitpunkt als Projektleiter und Biologe in Vollzeit bei der Aurelia Stiftung arbeitete. Auf Grundlage seiner Nachforschungen zum Thema kam eine Zusammenarbeit mit Reportern des Magazins „Stern“ zustande. Jan Hellberg unterstützte die Journalisten fachlich bei ihren Recherchen und begleitete sie bei Testkäufen in Berliner Baumärkten sowie auf einem sogenannten „Polenmarkt“ nahe der deutschen Grenze.

Unsere Recherchen deckten gravierende Missstände auf:

  • Unabhängige Beratungsangebote für den ökologischen Pflanzenschutz im Haus- und Kleingarten sind kaum vorhanden,
  • Verkäufer*innen von Pflanzenschutzmitteln kommen ihrer Informationspflicht meist nicht nach,
  • Verkäufer*innen raten sogar oftmals zum verbotenen präventiven Einsatz der Mittel,
  • Hochgifte Mittel wie Neonicotinoide sind für alle Freizeitgärtner*innen verfügbar,
  • (Illegale) Pestizide werden unkontrolliert in Onlineshops und Online-Marktplätzen verkauft,
  • (Nicht zugelassene) Pestizide werden von Privatgärtner*innen teilweise illegal im Ausland beschafft,
  • Die Bezeichnungen Bio- und Öko- werden von den Pestizidherstellern ohne Kontrolle eigenständig verwendet, sogar in selbst entworfenen Siegeln,
  • Die Anwendung von Pestiziden in Haus- und Kleingarten wird zu keinem Zeitpunkt überwacht.
  • Versteckt gemachte Aufnahmen aus einem Berliner Gartenmarkt. Biologe Jan Hellberg (links) und Stern-Autor Norbert Höfler können problemlos (eigentlich beratungspflichtige) Insektizide aus einem unverschlossenen Schrank nehmen und kaufen. Foto: Philipp von Ditfurth
  • Versteckt gemachte Aufnahmen aus der Gartenabteilung eines Baumarkts in Berlin. Foto: Philipp von Ditfurth
  • Kleingärtnerin und Biologin Helga Pick-Fuß verzichtet in ihrem Garten auf chemische Pestizide. Möglichen Schädlingen begegnet sie mit Hausmitteln oder Handarbeit. Foto: Philipp von Ditfurth
  • Zu Besuch im Garten von Rainer Kaufmann, ehem. Vorstand der Stiftung Aurelia. Er gärtnert ebenfalls naturnah und vollständig ohne Pestizide. V.l. Foto von Philipp von Ditfuth

Weitere Maßnahmen und Wirkung

Im August 2019 erschien die Reportage „Der Mörder ist immer der Gärtner“ im stern. Zusätzlich erschien ein Interview mit Jan Hellberg, dass den „Verkauf verbotener Pestizide an Hobbygärtner“ thematisiert.

Mit den Erkenntnissen aus den Recherchen hat die Aurelia Stiftung ein mehrseitiges Forderungspapier verfasst und sich damit an die zuständigen Behörden und die Agrarminister*innen der Bundesländer gewandt.

Zwei der darin gestellten Forderungen wurden mittlerweile erfüllt:

  • die Einrichtung einer Kontrollstelle für den Online-Handel mit Pflanzenschutzmitteln (beim BVL),
  • die Anerkennung der „Leitlinie für den integrierten Pflanzenschutz in Haus- und Kleingarten“ (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, BMEL).

Begleitend zu dem Forderungspapier haben wir mit unserem Partner SumOfUs.org eine Online-Petition für das Verbot von Gartengiften gestartet.

Im Oktober 2019 hat der Deutsche Bundesrat einen Beschluss zur Verringerung des Pestizideinsatzes in Privatgärten vorgelegt. Darin fordert er die Bundesregierung unter anderem dazu auf, „eine Strategie zur Verringerung des Pestizideinsatzes, einschließlich von Herbiziden und Insektiziden, in Haus- und Kleingärten zu entwickeln und hierzu verbindliche gesetzliche Vorgaben in die Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung aufzunehmen.“ Die Aurelia Stiftung wird die weitere Umsetzung dieses Beschlusses aufmerksam und kritisch begleiten.

Weiterführende Berichterstattung

Im Sommer 2020 ist der MDR auf unsere Arbeit und Aktivitäten aufmerksam geworden und hat einen weiteren Fernsehbeitrag über den illegalen Handel mit Pestiziden produziert (ARD Mediathek – Verbotenes Pflanzengift – Viele kaufen es trotzdem & MDR – Illegale Pestizide auf Grenzmarkt in Polen). Die Aurelia Stiftung war in der Person von Jan Hellberg wiederum fachlich beratend und unterstützend tätig. Neu gefundene Hinweise auf illegale Handelsaktivitäten wurden an die deutschen und die europäischen Stellen weitergeleitet.

Im Frühjahr 2021 wurde die Journalistin und Dokumentarfilmerin Susanne Roser auf unsere Recherchen im polnischen Grenzort Slubice aufmerksam. Sie machte sich ebenfalls dorthin auf, um dem Handel mit illegalen Pestiziden nachzuspüren. Sie wurde dabei von den Aurelia-Expert*innen Jan Hellberg und Dr. Madlen Ziege begleitet, die in diesem Fall auch als Protagonisten vor der Kamera zum Einsatz kamen. Die auf dem „Polenmarkt“ getätigten Testkäufe wurden – wie schon in den Jahren zuvor – mit versteckter Kamera gefilmt, um zu prüfen, ob unsere bisherigen Enthüllungen mittlerweile Wirkung gezeigt haben. Die Aufnahmen aus Slubice sowie weitere Interviews mit Hellberg und Ziege sind in der TV-Dokumentation „Illegale Pestizide – Den Giften auf der Spur“ zu sehen. Die Doku wurde sowohl auf Arte als auch im Bayrischen Rundfunk ausgestrahlt.

Ausblick: Vorbild Frankreich

Frankreich hat sich bereits seit Längerem für ein konsequentes Verbot von Pflanzenschutzmitteln für Haus- und Kleingarten entschieden. Wir halten diese Maßnahme für vorbildlich und setzen uns insbesondere auf bundespolitischer Ebene und durch unsere weitere Kampagnenarbeit dafür ein, dass Deutschland diesem Beispiel folgt.

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