Die Aurelia Stiftung hat sich in einem langjährigen Rechtstreit erfolgreich dafür eingesetzt, dass der Einsatz von vier bienengefährlichen Pestizidwirkstoffen EU-weit im Freiland verboten bleibt. Bayer, Syngenta und BASF hatten als Hersteller gegen die 2013 von der EU-Kommission angeordneten Einschränkungen der Neonicotinoid-Wirkstoffe Clothianidin, Thiamethoxam, Imidacloprid und Fipronil geklagt. Imkerverbände waren dabei als Streithelfer vor Gericht tätig. Aurelia hat den Einsatz der Rechtsanwälte als Vertretung der Streithelfer vor Gericht finanziert und organisierte die Tätigkeiten des juristischen Bündnisses.
Nachdem das Europäische Gericht (EuG) im Mai 2018 die Klage der Pestizidhersteller erstmals abgewiesen hatte, zog der Bayer-Konzern in die letzte Instanz vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Im Mai 2021 hat Europas oberstes Gericht die Beschwerde von Bayer in allen Klagepunkten zurückgewiesen. Das Urteil ist ein Meilenstein für den Insektenschutz und hat herausragende Signalwirkung für eine umweltverträgliche Landwirtschaft. Die Aurelia Stiftung plant nun weitere Aktivitäten und Projekte, um die vom EuGH neu gesetzten Maßstäbe und rechtlichen Mittel zum Schutz bestäubender Insekten nutzbar zu machen.
Einschränkung für Neonicotinoide ab 2013
Neonicotinoide sind synthetische, neurotoxisch wirkende Insektizide. Die „Pflanzenschutzmittel“ wirken als Kontakt- und Fraßgifte gegen Insekten. Die bekanntesten Wirkstoffe sind Clothianidin, Imidacloprid (hergestellt von Bayer) und Thiamethoxam (hergestellt von Syngenta). 2013 schränkte die EU-Kommission die Verwendung dieser drei Neonicotinoide sowie des vergleichbaren Wirkstoffs Fipronil (Phenylpyrazol von BASF) aufgrund ihrer Risiken für Bienen und andere Insekten ein. Seither dürfen sie nicht mehr im Freiland verwendet werden. Für einige Anbaukulturen und Anwendungsbereiche sah die EU jedoch Ausnahmeregelungen vor: Zum Beispiel konnten Zuckerrüben oder Kartoffeln zunächst weiter damit behandelt werden.
Klagen gegen die Teilverbote von 2013
Der Bayer-, der Syngenta- und der BASF-Konzern klagten beim Europäischen Gericht (EuG) gegen dieVerbote und Beschränkungen ihrer Produkte. Syngenta beantragte zudem Schadensersatz in Höhe von mindestens 367,9 Millionen Euro.
Zwei Imkerverbände – namentlich der Deutsche Berufs und Erwerbs Imker Bund (DBIB) und der Österreichische Erwerbsimkerbund (ÖEIB) – unterstützten seitdem die Position der EU-Kommission als „Streithelfer“ durch imkerfachliche und wissenschaftliche Beratung. Die Aurelia Stiftung hat mit den beiden Verbänden ein spezielles Bündnis für die Gerichtsverfahren organisiert und sich um die Finanzierung der Verfahrenskosten gekümmert. Die auf den Gebieten Umwelt- und Lebensmittel im deutschen und europäischen Recht sehr versierte Berliner Kanzlei GGSC – [Gaßner, Groth, Siederer & Coll.] vertrat die Imkerverbände vor Gericht. In den Verfahren ging es um die Grundsatzfragen: Müssen die EU-Kommission und Mitgliedstaaten beweisen, dass Neonicotinoide schädlich für Bienen sind? Oder muss die Industrie die Unschädlichkeit nachweisen? Haben im Zweifel wirtschaftliche Interessen oder der Umweltschutz Vorrang?
Entscheidung des EuGs im Mai 2018
Das EuG bestätigte am 17. Mai 2018 die Gültigkeit des von der EU-Kommission erteilten Freiland-Verbots von Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid. Das Gericht wies die Klagen der Hersteller damit ab. Nach Auffassung des Gerichts hatten neue wissenschaftliche Studien die Zulassungsvoraussetzungen der Pestizid-Wirkstoffe in Frage gestellt. Die Kommission hatte deshalb zurecht eine Überprüfung der Wirkstoffe gefordert. Dagegen gab das Gericht der Klage von BASF weitgehend statt und erklärt die Maßnahmen zur Beschränkung der Verwendung des Pestizids Fipronil für nichtig, da sie ohne vorherige Folgenabschätzung ergangen war. Was das Verbot betrifft, mit Fipronil-haltigen Pflanzenschutzmitteln behandeltes Saatgut zu verwenden, wies das Gericht die Klage von BASF wiederum ab, da BASF dieses Saatgut nicht selbst vertreibt. Der Antrag war unzulässig.
Das EuGH entscheidet in letzter Instanz
Bayer reichte daraufhin beim Europäischen Gerichtshof Beschwerde gegen die Entscheidung des EuG ein. Bei dem folgenden Gerichtsprozess waren die GGSC-Anwälte im Auftrag von Aurelia und ihren Bündnispartnern erneut beteiligt. Sie setzten weitere Schriftsätze zum Verfahren auf und nahmen im Juni 2020 an der mündlichen Verhandlung in Luxemburg teil.
Im September 2020 veröffentlichte die Generalanwältin des EuGHs ihre Schlussanträge. Darin bestätigt sie die von Aurelias Anwälten vertretene Auffassung, dass die methodischen Defizite und Datenlücken in der ursprünglichen Risikoprüfung hinreichende Zweifel begründen, dass die Neonicotinoide die Genehmigungskriterien nicht erfüllen. Dem EuG sind zwar laut der Generalanwältin des EuGHs Fehler unterlaufen. Diese würden aber nicht zur Aufhebung des Urteils führen und erst recht nicht die Teilverbote der EU-Kommission in Frage stellen. Lediglich das Komplettverbot der nicht gewerblichen Verwendung der Neonicotinoide geht ihrer Auffassung nach zu weit.
Das finale Urteil des EuGHs erfolgte schließlich am 06. Mai 2021. Darin stellt das oberste Gericht klar: Die Entscheidung der EU-Kommission von 2013 war rechtens. Wenn der begründete Verdacht besteht, dass ein genehmigter Pestizidwirkstoff schädlich sein könnte, ist es Sache des Herstellers, jeglichen Zweifel auszuräumen. Es ist seine Pflicht nachzuweisen, dass seine Pestizidprodukte unschädlich sind. Andernfalls verlieren sie ihre Genehmigung ganz oder teilweise. In wissenschaftlich begründeten Verdachtsfällen hat der Umweltschutz also Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen!
Ausblick und weitere Maßnahmen
In dem Verfahren sind unter anderem gravierende Defizite der Risikoprüfung von Pestizid-Wirkstoffen bestätigt worden. Trotz dieser Steilvorlage hatten die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten seither nicht den Mut, die Risikoprüfung grundlegend zu reformieren. Das führt dazu, dass neonicotinoidhaltige Insektizide oder solche mit ähnlicher Wirkung weiterhin eine Zulassung erhalten. Die EU-Verbote einzelner Pestizidwirkstoffe werden außerdem in zahlreichen Mitgliedsstaaten, darunter auch in Deutschland, durch sogenannte „Notfallzulassungen“ umgangen. Durch diese gesetzliche Hintertür kommen verbotene Gifte weiterhin auf den Acker und in den Nektar und Pollen – die Nahrung der Bienen.
Es ist deshalb von entscheidender Bedeutung, die vom EuGH neu gesetzten Maßstäbe und rechtlichen Mittel zum Schutz bestäubender Insekten auch zu nutzen. Insbesondere bei den zuständigen Behörden müssen die legislativen Handlungsspielräume, die sich durch das Urteil ergeben haben, erst noch ausreichend wahrgenommen werden. Das Gleiche gilt für viele Umweltorganisationen. Deshalb will Aurelia mit ihren bewährten Anwälten von der Kanzlei GGSC und anderen qualifizierten Referent*innen eine Fachtagung veranstalten, auf der über die neuen Instrumente beim Insektenschutz informiert wird. Ziel ist es, den fachlichen Austausch und abgestimmte Maßnahmen zwischen Behörden und NGOs zu befördern.