Am 22. April 2024 erhielt Aurelia-Vorstand Thomas Radetzki die Antwort des EU-Petitionsausschusses zur Petition „Pestizidkontrolle“. Dort lag die ursprünglich beim Deutschen Bundestag eingereichte Petition mehrere Jahre, nachdem dieser sie an die EU weitergeleitet hatte. Die nun erfolgte Abweisung der Petition ohne eine öffentliche Erörterung ignoriert den Schutz von Biodiversität und den Willen tausender Bürger:innen.
Rückblick: Im Frühjahr 2019 brachten wir mit der Unterstützung von 72.527 Menschen erfolgreich die Petition „Pestizidkontrolle“ im Bundestag ein. Aus Verfahrensgründen war Aurelia-Vorstand Thomas Radetzki dabei persönlich als Petent aufgetreten. Ziel war es, eine grundlegende Reform der Zulassungsverfahren für Pestizide zu erwirken, um die erheblichen Defizite bei der Risikoprüfung zu beheben und so Bienen und andere Bestäuber besser zu schützen.
Zentrale Forderungen der Petition waren:
- Vollständige Einbeziehung von Pestizid-Zusatzstoffen in die Sicherheitsprüfung
- Berücksichtigung der Wechselwirkungen von Pestiziden
- Angemessene Prüfung von Pestizid-Anreicherungen in Grundwasser und Boden
- Sicherheitsprüfungen auf Basis wissenschaftlicher Daten durch unabhängige Labore und
- Fachgremien anstatt durch die Pestizid-Hersteller
- Bessere Prüfungen von Pestiziden unter realen Bedingungen
- Prüfung von nicht tödlichen und chronischen Effekten bei Honig- und insbesondere Wildbienen
Der Petitionsausschuss des Bundestags hatte es trotz erfolgreicher Anhörung zwar abgelehnt, die Petition an die Bundesregierung zu übermitteln, sie aus Gründen der Zuständigkeit jedoch an das EU-Parlament weitergeleitet.
EU-Kommission bescheinigt sich selbst gute Arbeit und bleibt untätig
Nach fünf Jahren des Wartens erreichte uns die Entscheidung des EU-Petitionsausschusses, die Petition zu schließen. Darüber sind wir nicht nur enttäuscht. Wir sind fassungslos über das Vorgehen des EU-Parlaments, die „Prüfung“ der Petition ohne Anhörung abzuschließen.
Grundlage des Schließens der Petition durch den Petitionsausschuss war eine kurze schriftliche Stellungnahme der EU-Kommission. Darin stellt sie sich ungeachtet des dramatischen Artensterbens selbst ein gutes Zeugnis für den Schutz der Biodiversität aus und verneint Handlungsbedarf. Dabei zeigt der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) in seinen Berichten immer wieder, dass besonders die Anwendung von Pestiziden eine der Hauptursachen für die Gefährdung der Blütenbestäuber ist. Und die EU-Kommission selbst hatte im Sommer 2022 vor den dramatischen Verlusten von Arten und Bodenfruchtbarkeit in der gesamten EU gewarnt.
In ihrer Stellungnahme zur Petition „Pestizidkontrolle“ behauptet die Kommission, die EU habe „eines der weltweit strengsten Regulierungssysteme für Pestizide, mit dem für die höchsten Sicherheitsstandards für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt, auch für Bienen, gesorgt“ werde. Dadurch sei es „in keinem Fall erlaubt, Stoffe auf den Markt zu bringen und zu verwenden, wenn es Sicherheitsbedenken für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt, einschließlich der Bienen,“ gäbe.
Doch tatsächlich belasten in der EU diverse Pestizide weiterhin massiv die Gesundheit von Mensch, Bienen und Umwelt. 2023 etwa misslang die Reduzierung von Pestiziden, die auch von der EU als „gefährlich“ eingestuft werden. Das prominenteste Beispiel für ein trotz Sicherheitsbedenken zugelassenes Mittel ist das bienenschädliche Totalherbizid Glyphosat, gegen das die Aurelia Stiftung aktuell beim Europäischen Gericht klagt.
Zu den gravierendsten Sicherheitslücken bei Pestizidzulassungen gehört dabei, dass die Pestizid-Prüfungen von den Herstellern selbst und nicht von unabhängigen Laboren durchgeführt werden. Auch diese Regelung bleibt unangetastet.
Die Kommission rühmt sich zudem damit, sie habe „bereits Wirkstoffe vom Markt genommen oder ihre Verwendung beschränkt und [werde] dies auch weiterhin tun“. Tatsächlich waren dafür jedoch langwierige, kostspielige Gerichtsprozesse u. a. unter Mitwirkung der Aurelia Stiftung erforderlich. Und viele schädliche Pestizide sind weiterhin im Einsatz.
Schließlich flüchtet sich die EU-Kommission in den Hinweis auf derzeit laufende „Forschungsarbeiten zur ausführlicheren Bewertung der Synergieeffekte“ von Pestiziden untereinander, anstatt die diversen dazu bereits veröffentlichten Studien zu beachten.
Lizenz zum Töten von Bienen
Besonders verheerend für den Schutz von Bienen ist, dass die EU die Zulassungsbeschränkung von Pestiziden an – laut eigener Auffassung – „unannehmbaren akuten oder chronischen Auswirkungen auf das Überleben und die Entwicklung“ von Bienenvölkern orientiert. Als annehmbar betrachtet die Kommission dabei, dass sich ein Bienenvolk aufgrund der Auswirkungen um bis zu 10 Prozent der Bienen reduziert – pro Pestizid. Sie spricht Agrar-Konzernen und Landwirt:innen somit eine Lizenz zum Töten von Bienen aus.
Dass Imker:innen hinnehmen müssen, dass 10 Prozent ihrer Bienen sterben sollen, bevor überhaupt an ein Verbot gedacht werden kann, ist für uns ein viel zu wenig beachteter Skandal. Erst recht, wenn man die kombinierten oder aufeinanderfolgenden Auswirkungen mehrerer Pestizide bedenkt. Übrigens gilt dieses angebliche „Schutzziel“ nur für die vergleichsweise robusten Honigbienen. Für die wesentlich empfindlicheren Hummeln und Solitärbienen gibt es keinerlei Schutzbestimmungen.
Chronologie eines ignoranten Umgangs mit bürgerlichem Engagement für Bienen und Biodiversität
Die ebenso langwierige wie oberflächliche Bearbeitung der Petition „Pestizidkontrolle“ durch den EU-Petitionsausschuss und die EU-Kommission zeigt, wie wenig das Engagement zigtausender Bürger:innen für den Schutz von Bienen, anderen systemrelevanten Bestäubern und eine gesunde Umwelt die Brüsseler Institutionen interessiert.
Das ist die Chronologie der Petition „Pestizidkontrolle“:
- 01.05.2019: Erfolgreicher Abschluss der Unterzeichnung der Bundestagspetition „Pestizidkontrolle“
- 21.10.2019: Anhörung zur Petition beim Deutschen Bundestag
- 20.05.2021: Beschluss des Bundestags zur Weiterleitung der Petition an das EU-Parlament und Abschluss auf nationaler Ebene
- 11.02.2022: Interne Stellungnahme der EU-Kommission zur Petition
- 09.04.2024: Schließung der Petition durch den EU-Petitionsausschuss auf Basis der Stellungnahme der EU-Kommission
- 6. 22.04.2024: Antwort des EU-Petitionsausschusses
Das Ignorieren der vielfachen Forderungen nach einer besseren Kontrolle und generellen Abkehr von Pestiziden bedroht neben dem Überleben von Bienen und anderen Bestäubern auch die Stabilität der Ökosysteme und die zukünftige Sicherheit unserer Ernährung.
Die Aurelia Stiftung wird sich auch in Zukunft für effektive Pestizidkontrolle, eine umwelt- und artenvielfaltsverträgliche EU-Agrarpolitik und – natürlich – für den Schutz von Bienen einsetzen.
Zur Einsicht: Die Mitteilung des EU-Petitionsausschusses mit Stellungnahme der EU-Kommission.