In den vergangenen Wochen ging es Schlag auf Schlag bei der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) „Bienen und Bauern retten“. Schon im November hatte das initiierende Bündnis aus zivilgesellschaftlichen Organisationen, dem auch die Aurelia Stiftung angehört, der EU-Kommission seine Forderungen präsentiert. Im Januar folgte dann eine erste ausführliche Diskussion vor den Fachausschüssen für Umwelt sowie für Agrar im EU-Parlament. In einer kontroversen vierstündigen Sitzung ging es vor allem um die Kernforderung des EBI-Bündnisses, bis spätestens 2035 chemisch-synthetische Pestizide in der Europäischen Union komplett zu verbieten.
Am 16. März wurde unsere EBI erneut im Europaparlament besprochen – diesmal während der Plenarsitzung. Mehr als 50 Abgeordnete aller Fraktionen beteiligten sich mit Wortbeiträgen an der hitzigen Diskussion. Eine Aufnahme der Sitzung, auch mit deutscher Übersetzung, kann hier angeschaut werden. Die EBI wird gleich zu Beginn verhandelt (bis etwa 10:50 Uhr). Um die Sprache zu ändern, einfach unten im Stream auf das Noten-Symbol klicken und „DE“ auswählen.
Die kontroversen Beiträge zeigen, wie hart um den Pestizidausstieg in der EU noch gestritten werden muss. Einige Abgeordnete scheinen der Meinung zu sein, dass Initiativen wie der neue „Deal für Bestäuber“ in der EU bereits ausreichen. Für uns ist jedoch klar, dass solche nahezu wirkungslosen Maßnahmen nur den Anschein einer Lösung wecken. Diese liegt nicht in weiteren Monitoring-Maßnahmen, sondern in konsequentem Handeln: Nur ein schnelles endgültiges Pestizid-Verbot kann das dramatische Insektensterben aufhalten. An der Seite des EBI-Bündnisses setzt sich die Aurelia Stiftung deshalb weiterhin für den Pestizidausstieg auf nationaler und auf EU-Ebene ein.
Parlamentarisches Frühstück: Viele Abgeordnete hängen das Thema Pestizidausstieg nicht hoch genug
Um unsere Forderungen auch an die Abgeordneten heranzutragen, veranstaltete die Aurelia Stiftung im Kreise des EBI-Bündnisses am 30. März ein Parlamentarisches Frühstück im Paul-Löbe-Haus unter der Schirmherrschaft von MdB Karl Bär (Bündnis 90/Grüne). Viele Abgeordnete und deren Mitarbeitende hatten sich im Vorfeld hierfür angemeldet – doch dann kamen nur wenige tatsächlich zu dem Termin. Das ist aus Sicht der Aurelia Stiftung leider beispielhaft für den Stellenwert, den das Thema Pestizidausstieg im Bundestag zurzeit einnimmt. Dabei kann der Schutz der Biodiversität doch eigentlich nicht hoch genug gehängt werden – und auch nicht länger warten. Dies unterstrichen auch die Referenten beim Parlamentarischen Frühstück eindrücklich und belegt mit wissenschaftlich fundierten Zahlen und Fakten sowie mit praktischen Erfahrungen.
Dr. Carsten Brühl, Wissenschaftler am Institut für Umweltwissenschaften Landau an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität, forscht seit Jahren zu den Auswirkungen von Pestiziden auf die terrestrische Umwelt. Der Ökologe und Ökotoxikologe schilderte die verheerenden Folgen von Pestiziden für die Biodiversität. Er verwies auch auf den dramatischen Verlust von „fliegender Biomasse“, also fliegenden Insekten innerhalb von 27 Jahren: zwischen 1989 und 2016 waren es 75 Prozent. Pestizide reichern sich auch im Ackerboden an. Bei Beprobungen wurden in mehr als 50 Prozent der Fälle regelrechte Pestizid-Cocktails mit mehr als fünf Pestiziden gefunden – insgesamt sogar 53 Pestizide im Ackerboden. Kein Wunder, dass sich auch im Bienenpollen Pestizide feststellen lassen.
Praktische Erfahrungen: Alles besser ohne Pestizide
Ein weiterer Referent beim Parlamentarischen Frühstück war Jan Wittenberg, Agrarwissenschaftler und aktiver Bio-Landwirt eines pfluglosen Biomarktfruchtbetriebs aus Mahlerten bei Hildesheim. Er sprach über „neue“ Kulturen als Lebensmittel zu einer ökologisch wertvollen Fruchtfolge – ohne dass Gentechnik zum Einsatz kommen muss. Pestizide nämlich richten an der Biodiversität großen Schaden an, speziell auch im Boden. Sie landen auch in unserer Nahrungskette. Außerdem führen sie zu einer „Kaskade der Abhängigkeiten“. Das Ergebnis sei eine Art Wettrüsten gegen die Natur mit einer Arbeit, die zunehmend von Preisdruck und industriellen Abhängigkeiten geprägt sei. Die Lösung sieht Wittenberg in bereits existierenden Methoden des ökologischen Landbaus sowie in einer natürlichen Vielfalt. Es gebe längst ertragreiche Methoden, um pestizidfrei zu wirtschaften und zugleich das Bodenleben nachhaltig zu verbessern. Hierzu stellte Wittenberg das Beispiel einer vielfältigen Fruchtfolge vor.
Auch der dritte Referent, Georg Stöckl, berichtete über sein fundiertes Praxiswissen. Der studierte Diplom-Agraringenieur führt den Bio-Streuobsthof Stöckl in Rohr in Niederbayern als Familienbetrieb. Auf 13 Hektar Streuobstwiesen baut er Äpfel, Birnen, Kirschen und Zwetschgen an und verzichtet dabei komplett auf den Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide.
Eine gesunde Landwirtschaft – für Menschen, Bienen und Biodiversität – ist also keine naive Utopie, sie wird längst umgesetzt, ganz ohne chemisch-synthetische Pestizide und ohne Gentechnik. Darauf wies auch unser Gentechnik-Experte Bernd Rodekohr bei der Diskussion hin. Gentechnik würde neue Probleme schaffen anstatt die alten zu lösen – und auch die Abhängigkeit von der Chemieindustrie und großen Landwirtschaftskonzernen weiter verschärfen.
EU-Kommission antwortet auf die EBI: Schon genug getan für die Bestäuber?
Inzwischen hat die EU-Kommission ihre Antwort auf die EBI veröffentlicht. Darin benennt sie klar die dramatischen Folgen des massiven Artensterbens bei Bienen und anderen bestäubenden Insekten in der EU für unsere Ernährungssicherheit. Laut EU-Kommission ist jede dritte Bienen-, Schmetterlings- und Schwebfliegenart in der EU vom Aussterben bedroht, während 80 Prozent der Kultur- und Wildpflanzenarten von der Bestäubung durch Tiere abhängen. Die Kommission geht davon aus, dass bei der Hälfte der landwirtschaftlichen Flächen in der EU bereits die Gefahr von Bestäubungsdefiziten besteht, und folgert: „Ohne Bestäuber sind die Ernährungssicherheit und letztlich das Leben auf der Erde in Gefahr.“
Die Aurelia Stiftung wertet die Stellungnahme der Kommission als Beleg dafür, dass den europäischen Institutionen das Ausmaß der Ernährungskrise, die durch das fortschreitende Artensterben droht, völlig bewusst ist. Die von der Kommission bislang gelieferten und für die Zukunft angekündigten Gesetzesinitiativen sehen wir nicht als geeignet an, um diese drohende Ernährungskrise aufzuhalten.
„Weder die jetzt von der EU-Kommission in Reaktion auf die EBI angeführten Initiativen noch die im Ampel-Koalitionsvertrag vereinbarten Maßnahmen reichen aus, um das fortschreitende Aussterben von Bienen und Bestäubern aufzuhalten“, sagte dazu Matthias Wolfschmidt, Vorstand der Aurelia Stiftung. „Die durch das Artensterben drohende Ernährungskrise kann nur abgewendet werden, wenn die EU und Deutschland sich von dem jetzigen Agrarsystem verabschieden. Das auf der Ausbeutung und Zerstörung natürlicher Ressourcen beruhende, von fossiler Energie abhängige und dem Preisunterbietungswettbewerb des Weltmarkts unterworfene Agrarmodell hat keine tragfähige Zukunft.“ Bundesagrarminister Cem Özdemir vergeude durch sein Zaudern und Beschönigen der Situation wertvolle Zeit und gefährde unsere Ernährungssicherheit. Die Bundesregierung müsse daher alles daransetzen, den grundlegenden Systemwandel in der Agrarpolitik schnellstmöglich und unumkehrbar voranzubringen.
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