Interview

Unsere Vorständin Dr. Madlen Ziege über ihr neues Buch

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Unsere Vorständin Dr. Madlen Ziege hat ein vielseitiges Interessenprofil, das in ganz unterschiedlichen Bereichen zum Tragen kommt. Sie ist nicht nur promovierte Biologin und bei uns in der Aurelia Stiftung für die fachlichen Fragen in diesem Bereich zuständig. In ihrer Freizeit produziert sie auch noch einen Podcast und ist zudem Buchautorin sowie Illustratorin. Am 26. Januar 2023 erscheint bereits ihr zweites Buch beim Piper-Verlag mit dem Titel: „Die unglaubliche Kraft der Natur. Wie Stress Tieren und Pflanzen den Weg weist“. Wir haben Madlen gefragt, was sie zu dem Buch bewegt hat und welche Sichtweisen auf die Pflanzen- und Tierwelt potenzielle Leser*innen daraus schöpfen können.

© Constanze Wenig von Fräulein Fotograf
Dr. Madlen Ziege. © Constanze Wenig von Fräulein Fotograf

Madlen, Du beschäftigst Dich in Deinem neuen Buch mit Stress in der Tier- und Pflanzenwelt. Wie bist Du zu dem Thema gekommen?

In einer meiner wissenschaftlichen Studien ging es um die Frage, ob Wildkaninchen, die in Städten leben, gestresster sind als ihre Artgenossen auf dem Land. Dazu musste ich aber erst mal wissen, was „Stress“ überhaupt bedeutet und wie ich ihn messen kann. Die Suche nach den Antworten erwies sich viel schwieriger als gedacht. Mir begegneten viele Mythen und Verwirrungen rund um das Thema Stress. In „Die unglaubliche Kraft der Natur“ nehme ich die Leser*innen mit auf eine Reise durch diese Irrungen und Wirrungen und ergründe, was Stress alles ist und was nicht.

Welche Rolle spielt Stress aus Deiner Sicht in der Natur?

Betrachten wir Stress mal aus Sicht der Evolutionsbiologie: Stress ist, wenn die Fitness sinkt. Und mit Fitness ist nicht gemeint, dass ein Kaninchen besonders hoch springen oder eine Biene besonders schnell fliegen kann. Die biologische Fitness ist die Anzahl eigener Nachkommen und die enger Verwandter. Es geht also darum, möglichst lange zu leben und sich möglichst viel fortzupflanzen. Und das geht nur, wenn sich Tiere, Pflanzen, aber auch Pilze und Bakterien immer wieder neu an ihren Lebensraum anpassen.

Wie müssen wir uns das vorstellen – wo genau treffen Tiere und Pflanzen auf Stress?

Die Fitness ist das höchste Gut, und wenn sie sinkt, steigt der Stress. Dabei gibt es unzählige Faktoren, die es der Fitness schwer machen: die sogenannten Stressfaktoren. Fressfeinde, Parasiten oder höhere Temperaturen – theoretisch kann alles im Leben zu einem Stressfaktor werden. Bei den Bestäubern lässt sich das besonders gut erklären. Den Wildbienen macht ein geringes Blühangebot zu schaffen, weil sie zu wenig Nahrung finden. Gleichzeitig führt die intensive Bewirtschaftung von Feldern dazu, dass die Tiere keine Rückzugsmöglichkeiten für die Aufzucht ihres Nachwuchses haben. Der Einsatz von Pestiziden ist ein weiterer Stressfaktor, dem insbesondere Insekten ausgesetzt sind. Es gibt eine aktuelle Studie, die zeigt, dass weibliche Wildbienen ihre Männchen nicht mehr attraktiv finden, wenn diese mit Pestiziden in Kontakt gekommen sind. Und ohne Sex kann es dann auch keinen Wildbienen-Nachwuchs mehr geben. Die Folge: Die Fitness geht runter und der Stress geht rauf.

Das mikroskopisch kleine Bärtierchen ist ein Wunder der Natur.

Welche Beispiele sind besonders eindrücklich? Und für uns besonders interessant: Wie steht es um die Bienen in Stresssituationen? Wie gehen sie damit um?

Es gibt unzählige Beispiele, wie sich Lebewesen ihre Fitness zurückerobern. Bereits das Fliehen eines Wildkaninchens vor dem Habicht ist eine Stressantwort. Aber auch das Wegdrehen der Blätter eines Baumes gehört dazu. Besonders hat mich das Beispiel einer Meeresschneckenart fasziniert, die nach dem Befall mit einem Parasiten einfach ihren Körper abwirft und sich einen neuen nachwachsen lässt. Aber auch das mikroskopisch kleine Bärtierchen ist aus meiner Sicht ein Wunder der Natur. Die kleinen Tiere trocknen aus und nehmen das sogenannte Tönnchenstadium ein. Damit werden sie zu regelrechten Superbären und können selbst extreme Temperaturen über Monate hinweg überstehen.

Honigbienen scheinen sehr darauf zu achten, dass erst gar kein Stress im Staat entsteht. Sie halten das Innere des Bienenstocks penibel sauber, damit sich keine Krankheiten ausbreiten können. Denn gerade wo Artgenossen so eng nebeneinander leben, ist die Ausbreitung von Parasiten, Bakterien oder Pilzen fatal und eine Gefahr für die Fitness. Bienen, aber auch Ameisen haben ein regelrechtes Hygienekonzept, das verhindert, dass erkrankte Tiere mit gesunden in Kontakt kommen.

Der Blick in Deinem Buch richtet sich auf Tiere und Pflanzen. Was können Menschen davon lernen?

Wir können unsere Haltung zum Stress überdenken: Er ist immer auch als Wegweiser zu verstehen, denn er zeigt uns, dass es Zeit ist, etwas zu ändern. Wenn unser Lebensraum unsere Fitness in Mitleidenschaft zieht, weil zu viele Anforderungen an uns gestellt werden, ist es an der Zeit, woanders hinzugehen oder sich einer anderen Tätigkeit zuzuwenden. Stress fordert uns auf, uns selbst ehrlich zu fragen: „Was bin ich eigentlich für ein Tierchen und was brauche ich, um glücklich zu sein?“

„Die unglaubliche Kraft der Natur“ ist bereits Dein zweites Buch. In Deinem ersten Buch „Kein Schweigen im Walde“ geht es darum, wie Tiere, Pflanzen und ganze Ökosysteme miteinander kommunizieren. Auf welche Thematik dürfen wir bei einem möglichen dritten Buch gespannt sein?

Das ist eine gute Frage. Mich interessiert sehr der Aspekt der Ökosystemingenieur*innen, dem ich ja im „Stress-Buch“ schon ein Kapitel gewidmet habe. Ökosystemingenieur*innen sind Lebewesen, die ihren Lebensraum so verändern und formen, dass es auch allen anderen Bewohner*innen zugutekommt. Die Idee, dass wir Menschen die größten Ökosystemingenieur*innen sind, fasziniert mich sehr. Ich würde mich gern mehr mit der Frage beschäftigen, warum wir mit unseren Fähigkeiten oft mehr Schaden für unsere Mitlebewesen anrichten, als ihnen Gutes zu tun. Besonders interessiert mich dazu der Umgang indigener Völker mit der Natur. Ich bin mir sicher, dass der „moderne“ Mensch sehr viel von dem alten Wissen der Naturvölker lernen kann.

Ansprechpartner

Dr. Madlen Ziege
Fachreferentin Biodiversität
+49 30 577 00 39 63
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