Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) hat angekündigt, für das Jahr 2022 keine Notfallzulassungen mehr für das verbotene Insektengift Thiamethoxam im Zuckerrübenanbau zu erteilen. Wie ein Bündnis von Imker*innen und Naturschützer*innen aufgedeckt hat, haben in der Anbausaison 2021 erteilte Notfallzulassungen zu schwerwiegenden Umweltbelastungen geführt.
Die Wirtschaftliche Vereinigung Zucker (WVZ) hatte für das Jahr 2022 erneut eine Notfallzulassung für den eigentlich verbotenen Pestizidwirkstoff Thiamethoxam im Zuckerrübenanbau beantragt. Glücklicherweise hat das BVL diesen Antrag kürzlich abgelehnt. Thiamethoxam gehört zur Wirkstoffgruppe der Neonicotinoide und ist seit 2018 EU-weit im Freiland verboten, weil ihm eine sehr hohe Giftigkeit für Honigbienen und andere pollensammelnde Insekten nachgewiesen wurde.
Das BVL begründet seine Absage an die Zuckerrübenanbauer damit, dass aufgrund der diesjährigen Witterung im kommenden Jahr nur ein geringer Befall von Blattläusen an Zuckerrübenpflanzen zu erwarten sei. Das BVL beruft sich dabei auf aktuelle Prognosen der Pflanzenschutzdienste, denen zufolge in der kommenden Saison nicht mit einer Notfallsituation zu rechnen ist. Im Fall von sich stark vermehrenden Läusepopulationen könnte es aber auch im Jahr 2022 regional begrenzte Notfallzulassungen für andere Spritzmittel geben, führt das BVL weiter aus.
Die Aurelia Stiftung hatte sich bereits im Januar 2021 gemeinsam mit dem Deutschen Berufs- und Erwerbsimkerbund (DBIB) und dem Imkerverband Rheinland-Pfalz (IRP) an das BVL gewandt. In einer schriftlichen Stellungnahme warnten wir eindringlich vor den Gefahren für Bienen und Umwelt durch Thiamethoxam und forderten eine sofortige Rücknahme der für die Anbausaison 2021 erteilten Notfallzulassungen. Dennoch hielt das BVL an seiner Entscheidung fest und bewilligte Notfallzulassungen für eine Anbaufläche von deutschlandweit 126.900 Hektar. Die Behörde behauptete, aufgrund der in den Notfallzulassungen festgeschriebenen Anwendungsbeschränkungen würden Bienen nicht gefährdet.
Starkregen schwemmte das Gift von den Äckern
Die Einhaltung der Anwendungsvorschriften sollte eigentlich von den zuständigen Pflanzenschutzstellen der Bundesländer kontrolliert werden. Am Ende waren es jedoch engagierte Imker*innen und Naturschützer*innen aus Bayern und Rheinland-Pfalz, die genauer hinschauten. Sie dokumentierten Anwendungsverstöße, sammelten Boden- und Pflanzenproben und ließen diese in zertifizierten Laboren untersuchen. Wie die Analyseergebnisse zeigten, war infolge der Starkregenereignisse im Frühjahr mit Thiamethoxam belastete Erde in großen Mengen von den Äckern abgeschwemmt worden. Auch in Proben von Schwemmwasser wurden extrem hohe Konzentrationen des Giftes gefunden, die besonders für im Wasser heranwachsende Insekten wie Libellen und Köcherfliegen tödlich sind. Das Institut für Bienenkunde und Imkerei (IBI) in Bayern fand in blühenden Pflanzenproben ebenfalls Konzentrationen des Giftes, die eine für Bienen und andere Blütenbestäuber potentiell tödliche Dosis darstellen. Mit ihren Enthüllungen lösten die Imker*innen und Naturschützer*innen ein deutschlandweites Medienecho aus und setzten das BVL gehörig unter Druck. Einen ausführlichen Bericht der Ereignisse können Sie in der aktuellen Ausgabe des Aurelia Magazins nachlesen. Die BUND-Kreisgruppe Ansbach hat auf ihrer Webseite Pressetexte und Fotos über die Folgen des diesjährigen Thiamethoxam-Einsatzes zusammengetragen.
Sarah Thullner, Agrarreferentin der Aurelia Stiftung, erklärt: „Die Aurelia Stiftung hat sich in einem mehrjährigen Gerichtsprozess erfolgreich dafür eingesetzt, dass Thiamethoxam und andere bienengefährliche Neonicotinoide EU-weit im Freiland verboten sind. Mithilfe nationaler Notfallzulassungen wird dieses EU-Verbot leider in Deutschland und anderen Mitgliedsländern systematisch ausgehebelt. Diese unsägliche Praxis muss ein Ende haben. Es ist den engagierten Imker*innen und Naturschützer*innen aus Bayern und Rheinland-Pfalz zu verdanken, dass zumindest für den Wirkstoff Thiamethoxam vorerst keine weiteren Notfallzulassungen in Deutschland bewilligt werden. Jetzt gilt es, wachsam und vorbereitet zu sein, um auch in Zukunft bienengefährdende Notfallzulassungen zu verhindern. Die Aurelia Stiftung ist mit ihren Anwälten bereits aktiv geworden, um künftige Notfallzulassungen, wenn nötig, per Gerichtsklage anfechten zu können.“
Exporte verbotener Pestizide stoppen!
Die Aurelia Stiftung verurteilt weiterhin auf das Schärfste, dass Thiamethoxam und andere in der EU verbotene Neonicotinoide nach wie vor hierzulande produziert und ins Ausland exportiert werden. Die größten Abnehmer sind Länder wie Brasilien, Russland, die Ukraine und Argentinien. Dort schädigen die Gifte Menschen und Ökosysteme und finden absurderweise über Lebensmittelimporte ihren Weg zurück nach Europa und auf unsere Teller – etwa in Form von Mais, Soja, Mangos und Avocados. 2020 wurden beispielsweise innerhalb von vier Monaten 3.859 Tonnen verbotener Pestizide mit Neonicotinoid-Wirkstoffen aus der EU exportiert. Davon beliefen sich 702 Tonnen auf die Wirkstoffe Thiamethoxam, Imidacloprid oder Clothianidin. Die Zahlen entstammen einem kürzlich veröffentlichten, investigativen Bericht der Schweizer NGO „Public Eye“ und der Recherchegruppe „Unearthed“, die zu Greenpeace gehört.
Bereits vor einem Jahr hat Aurelia im Verbund mit 57 weiteren Organisationen einen offenen Brief an die Bundesregierung geschrieben und gefordert, den Export von Pestiziden, die in der EU aufgrund von Gesundheits- oder Umweltrisiken verboten sind, umgehend zu stoppen. Die deutsche Politik verweigert sich bisher ihrer Verantwortung. Frankreich wiederum zeigt, dass es auch anders geht und hat angekündigt, im kommenden Jahr den Export von in der EU verbotenen Pestiziden nicht mehr zu erlauben.
Im November haben wir uns erneut im Rahmen eines offenen Briefes gemeinsam mit dem Umweltinstitut München und sechs weiteren Organisationen an die scheidende Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) gewandt. Darin fordern wir eine geeignete Datenerhebung und -veröffentlichung über den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft, damit dieser künftig angemessen kontrolliert und überwacht werden kann. Nur so können die in der Farm-to-Fork-Strategie festgesetzten Ziele der EU-Kommission, einen nachhaltigeren und reduzierten Umgang mit Pestiziden zu erreichen, auch umgesetzt werden.