Die Imkerei Seusing aus Brandenburg muss mehr als vier Tonnen verunreinigten Honig entsorgen. Die Aurelia Stiftung und das „Bündnis zum Schutz der Bienen“ werden gemeinsam mit der Imkerei entschieden gegen die rechtlichen und politischen Missstände vorgehen, die zu solchen Fällen führen.
Der im Mai bekannt gewordene Glyphosat-Schaden bei der Imkerei Seusing in Brandenburg ist weitaus schlimmer als bisher angenommen. Neue Prüfungen haben ergeben, dass noch zwei weitere Bienenstände der Imkerei betroffen sind. Damit geht es jetzt um mehr als vier Tonnen Honig, die aus dem Verkehr gezogen werden müssen. Rund 300 Kilogramm davon befanden sich bereits in den Regalen des Einzelhandels und wurden zurückgerufen.
Für die Familie Seusing, die völlig schuldlos in diese Misere geraten ist, steht jetzt die betriebswirtschaftliche Existenz und nicht zuletzt auch ihr guter Ruf auf dem Spiel. Die Aurelia Stiftung und das „Bündnis zum Schutz der Bienen“ werden die Seusings bei den anstehenden juristischen Prozessen unterstützen, um Schadensersatz geltend zu machen und auf einen gesetzlichen Schutzanspruch für Bienen und Imkereien vor derartigen Pestizidschäden hinzuwirken.
152-fache Überschreitung des Glyphosat-Grenzwertes für Honig
Ende April stellte das betroffene Imkerpaar Camille und Sebastian Seusing erstmals fest, dass es an einem ihrer Bienenstandorte zu einer schweren Kontamination mit Glyphosat gekommen war. Der benachbarte Landwirt hatte auf dem anliegenden Acker ohne Vorwarnung ein glyphosathaltiges Herbizid in blühenden Löwenzahn gespritzt. Diese fachlich völlig unsachgemäße Anwendung diente dazu, sämtliche Pflanzen auf dem Acker abzutöten, um dort anschließend Mais auszusäen. Die Bienen der Seusings nutzten den Löwenzahn zeitgleich als Futterquelle und brachten den Giftstoff auf diese Weise in die Bienenvölker ein. Anschließende Laboranalysen des Honigs ergaben eine bis zu 152-fache Überschreitung des lebensmittelrechtlich zulässigen Glyphosat-Grenzwertes.
Familie Seusing informierte umgehend das zuständige Lebensmittelüberwachungsamt, dass allerdings nur die Frühjahrsernte des unmittelbar betroffenen Bienenstands beprobte und deren Entsorgung anordnete. Erst durch das freiwillige, betriebseigene Qualitätsmanagement der Seusings wurden nun auch weiter entfernte Bienenstände beprobt und das volle Ausmaß des Schadens erkannt. Bei der Frühjahrsernte eines drei Kilometer entfernten Bienenstands wurde eine immerhin noch 10-fach zu hohe Glyphosat-Belastung festgestellt.
Zudem ergaben die Analysen des später im Sommer geernteten Kornblumenhonigs eine bis zu 50-fach zu hohe Glyphosat-Konzentration. Dieser Schaden ist nicht auf die Spritzung des Löwenzahns im Frühjahr zurückzuführen, sondern lässt auf eine zweite, später erfolgte Glyphosat-Anwendung in einem umliegenden Getreidefeld schließen, die sehr wahrscheinlich im Rahmen einer Sikkation stattfand (Totspritzen des Getreides, um schneller und einfacher ernten zu können). Die Aurelia Stiftung verurteilt auf das Schärfste, dass derartige Anwendungen unter Auflagen noch immer erlaubt sind – laut Anwendungsbestimmungen des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) ausdrücklich auch zum Abtöten von „Unkrautdurchwuchs“, wie zum Beispiel durch blühende Kornblumen.
Kein Glyphosat mehr in blühende Pflanzenbestände!
„Die Tatsache, dass Imkereien bisher auf solchen Schäden sitzen bleiben, werden wir nicht weiter hinnehmen. Haften müssen stattdessen der verursachende landwirtschaftliche Betrieb, der Pestizide unsachgemäß angewendet hat, oder aber die Zulassungsbehörden, die Pestizide ohne ausreichende Anwendungsbeschränkungen zulassen“, sagt Thomas Radetzki, Vorstand der Aurelia Stiftung.
„Die Aussicht, ein Drittel unserer gesamten Jahresernte in die Müllverbrennungsanlage fahren zu müssen, erschüttert uns und zeigt die Absurdität des landwirtschaftlichen Systems in Deutschland auf“, sagt Imker Sebastian Seusing und fügt an: „Wir rechnen fest damit, dass das Bundesamt für Verbraucherschutz (BVL) feststellen wird, dass eine Gesundheitsgefährdung der Verbraucher nicht besteht. Unabhängig davon gehört Glyphosat grundsätzlich nicht in Honig und dafür setzen wir uns jetzt gemeinsam mit der Aurelia Stiftung ein!“
Schon seit Jahren fordert die Aurelia Stiftung ein Anwendungsverbot von Glyphosat in blühenden Pflanzenbeständen. Zuletzt haben wir im Mai 2019 mit einem offenen Brief an Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) appelliert, sich für ein entsprechendes Verbot einzusetzen. Auf eine Antwort warten wir bis heute. Politisch wird bei diesem Problem leider bisher systematisch weggesehen.
Aurelia strebt Grundsatzurteil für Schutz von Bienen und Imkern an
Nicht bloß für Imkereien, sondern prinzipiell für alle Lebensmittelhersteller, die umweltbewusst und giftfrei produzieren möchten, stellt der Pestizideinsatz der konventionellen Nachbarn eine betriebswirtschaftliche Gefahr dar. Sie haben in der Regel das Nachsehen, wenn es zu einer Verunreinigung ihrer Produkte kommt. Der Ansicht des europäischen Gesetzgebers nach sollen Imkereien notfalls an andere Standorte ausweichen. Aber wohin? Aufgrund von Abdrift und Gewässereinträgen sind Pestizidrückstände längst nicht nur auf dem Acker, sondern auch in Siedlungsräumen und in entlegensten Naturschutzgebieten und Wäldern nachweisbar.
Familie Seusing verschließt vor dem Problem der Pestizidrückstände in ihren Honigen nicht die Augen, sondern lässt sie freiwillig untersuchen. Nur dadurch werden die dramatischen Auswirkungen der pestizidgestützten Landwirtschaft überhaupt sichtbar. Die Aurelia Stiftung ist in Anbetracht der Dringlichkeit sofort in Vorleistung gegangen, sodass die Rechtsanwälte die Arbeit aufnehmen konnten. Als Anwältin der Bienen streben wir gemeinsam mit der Imkerei Seusing an, in dem ausstehenden Gerichtsstreit ein mustergültiges Urteil zu erwirken, das künftig zu einem angemessenen Schutz vor Pestizideinträgen möglichst für alle – Verbraucher, Produzenten, Bienen und Umwelt – führen soll.
PROTESTAKTION:
Imkerpaar übergibt 4 Tonnen Glyphosat-Honig an Ministerin Klöckner (Presse- und Fototermin: Mi., 15.1., 11 Uhr)
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